Asien und Europa: Gemeinsam für einen wirksamen Multilateralismus
Zu Beginn dieser Woche hatte ich die Ehre, in meiner Eigenschaft als Hoher Vertreter den Vorsitz beim ASEM, dem „Asien-Europa-Außenministertreffen“, zu führen. Was bürokratisch klingen mag, ist in Wirklichkeit ein für unsere Kontinente politisch äußerst wichtiges Ereignis.
Beim ASEM kommen 53 Partner aus den 28 EU-Mitgliedstaaten, Norwegen, der Schweiz und der EU sowie aus 21 asiatischen Ländern und dem ASEAN-Sekretariat zusammen. Vereint stehen wir für:
- 55 % des Welthandels
- 60 % des weltweiten BIP
- 60 % der Weltbevölkerung
- 75 % des weltweiten Tourismus
Somit ist das ASEM schon aufgrund seines Gewichts von Bedeutung. In Madrid haben wir erörtert, wie wir dieses kollektive Gewicht im Sinne regelbasierter multilateraler Lösungen für die wichtigsten Herausforderungen, vor denen wir stehen, nutzen können.
Die bloße Zusammenführung von Ländern ist natürlich noch keine Garantie für Ergebnisse. Aber sie bietet Möglichkeiten. In Zeiten geopolitischer Veränderungen und einer fortdauernden Gegenreaktion auf die Globalisierung wird das ASEM immer wichtiger und strategischer. Dieses ASEM-Treffen kam somit gerade recht und bot eine gute Gelegenheit, die Zusammenarbeit zwischen Europa und Asien weiter zu intensivieren.
Die Ansichten rund um den ASEM-Tisch sind sehr verschieden. Dennoch haben wir es geschafft, uns im Geiste eines echten Dialogs in zentralen Fragen zu verständigen. Sämtliche Minister haben den Wert des ASEM als Plattform für einen starken und wirksamen Multilateralismus und eine regelbasierte internationale Ordnung hervorgehoben. Das allein war schon eine Schlüsselbotschaft, da gerade die auf Regeln basierende Ordnung momentan zunehmend in Frage gestellt wird.
Alle ASEM-Partner waren sich auch darin einig, dass es dringend notwendig ist, gegen den Klimawandel anzugehen und das Pariser Übereinkommen nicht in Frage zu stellen. Ebenso einig waren wir uns darin, dass die WTO beibehalten und ihr Streitbeilegungssystem funktionsfähig gemacht werden muss. Auch dringende Sicherheitsfragen, die eine Entwicklung der Asien-Europa-Treffen deutlich machen, standen auf der Tagesordnung. Noch vor einigen Jahren wären solche Fragen nicht Mittelpunkt der Gespräche gewesen.
Wir haben Nordkorea aufgefordert, seiner Verpflichtung zur vollständigen Entnuklearisierung nachzukommen, und zugesagt, diesbezügliche diplomatische Bemühungen zu unterstützen. Gleichermaßen haben wir unsere Unterstützung für das Atomabkommen mit dem Iran deutlich zum Ausdruck gebracht. Weitere regionale Top-Themen waren die Krise im und um den Rakhaing-Staat unter besonderer Berücksichtigung von politischer Verantwortung und Rückführungen sowie der Friedensprozess in Afghanistan und im Nahen und Mittleren Osten.
Auch die Konnektivität und die Notwendigkeit, sie auf der Grundlage klarer Regeln und Standards nachhaltig zu gestalten, kam zur Sprache. Rein auf Europa bezogen könnten wir uns für den Grünen Deal der EU und die Verpflichtung, Europa bis 2050 klimaneutral zu machen, einsetzen. Wir müssen aber global denken. Wir können die Probleme nicht nur in Europa angehen. Wenn wir die Erde schützen und zu mehr Nachhaltigkeit gelangen wollen, müssen wir mit unseren asiatischen Partnern zusammenarbeiten. Die COP25 und das ASEM haben deutlich gemacht, wie viel Arbeit noch vor uns liegt.
Der Vorsitz beim ASEM war für mich eine ausgezeichnete Gelegenheit, gleich zu Beginn meiner Amtszeit zahlreiche asiatische Partner zu treffen. Die Beziehungen zu Asien sind für die EU von hoher Priorität. Asien ist der dynamischste Teil der Welt und das neue weltpolitische Gravitätsfeld. Deshalb können große globale Herausforderungen nicht ohne die aktive Unterstützung Asiens gemeistert werden. Europa muss eng in Asien und mit Asien zusammenarbeiten. Das ASEM bot eine gute Gelegenheit zu bilateralen Gesprächen mit dem chinesischen Außenminister Wang Yi und den Außenministern Japans, Singapurs, Kambodschas, Thailands, Vietnams und Kasachstans.
In Madrid haben wir mit allen Kräften auf einen wirksamen Multilateralismus bei der COP25 und im Rahmen des ASEM hingearbeitet. Multilateralismus braucht aber Zeit. Nur selten führt er zu schnellen und eindeutigen Ergebnissen. Für uns Europäer ist er jedoch von grundlegender Bedeutung. Die Alternative ist eine Welt der Machtpolitik, in der das Recht des Stärkeren gilt. Daher müssen wir weiter in den Multilateralismus investieren. Es ist gut zu wissen, dass wir in Asien viele Partner und Freunde haben, mit denen wir an regelbasierten Lösungen arbeiten können.
Die Erklärung des Sitzungspräsidenten finden Sie hier
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