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Die strategische Partnerschaft EU-ASEAN: Wie entstand sie und was bedeutet sie?

06/12/2020 – Diese Woche beschlossen die EU und der Verband südostasiatischer Nationen (ASEAN) gemeinsam, eine strategische Partnerschaft einzugehen. Es lohnt sich, die lange Hintergrundgeschichte dieser historischen Entscheidung und ihre Bedeutung zu beleuchten. Im Mittelpunkt stehen die EU und der ASEAN als gemeinsam an multilateralen Lösungen arbeitende „Integrationspartner“.

„Im Mittelpunkt stehen die EU und der ASEAN als gemeinsam an multilateralen Beziehungen arbeitende „Integrationspartner‘“.

 

Vor ein paar Tagen berichtete ich in diesem Blog über das zehnjährige Jubiläum des EAD. Ich schilderte meine Eindrücke aus der Debatte mit zwei ehemaligen Hohen Repräsentanten (Javier Solana und Federica Mogherini), die am Vormittag des 1. Dezember stattgefunden hatte.  Dabei ging ich quasi von der einen Debatte zur nächsten: Ich hatte davor gemeinsam mit dem singapurischen Außenminister Vivian Balakrishnan die 23ste Ministertagung EU-ASEAN geleitet – natürlich virtuell, wie so viele Veranstaltungen dieser Tage.  Alle Mitgliedstaaten der EU und des ASEAN (Verband südostasiatischer Nationen) waren bei diesem Treffen vertreten, das sich als äußerst fruchtbar erweisen sollte. Das Ergebnis war, dass wir die Beziehungen zwischen der EU und dem ASEAN mit sofortiger Wirkung zu einer strategischen Partnerschaft aufwerteten.

Wie ich diese Woche bereits geschrieben habe, war der 1. Dezember ein besonderer Tag für mich persönlich, da er das Ende des ersten Jahres meiner Amtszeit markierte – oder den Beginn meines zweiten Jahres, wenn man so will. In zehn Jahren des EAD gab es stetige Fortschritte in den Beziehungen zwischen der EU und dem ASEAN, mal schneller, mal langsamer, aber zumindest stets mit dem gleichen Ziel im Sinn. Zehn Jahre ist es auch her, dass der ASEAN und seine Partner einen ihrer wichtigsten Verträge (den Vertrag über Freundschaft und Zusammenarbeit in Südostasien) so änderten, dass neben Staaten auch regionale Organisationen beitreten durften. Die EU unterzeichnete den Vertrag 2012 und ist bis heute die einzige regionale Organisation, die diesen Schritt unternommen hat. Auf der Ministertagung EU-ASEAN 2014, die unter anderem von Catherine Ashton geführt wurde, wurde zum ersten Mal die Arbeit an einer Aufwertung der Partnerschaft zu einer strategischen Partnerschaft beschlossen. Wir eröffneten 2016 die EU-Mission beim ASEAN mit einem eigenen Botschafter. Seither wurden wir Zeuge, wie Korea, Indien, Australien, die USA, Neuseeland und Russland neben China und Japan als strategische Partner des ASEAN anerkannt wurden, nicht aber die Europäische Union.

Anhand dieses Prozesses lassen sich einige wichtige Lektionen illustrieren.  Vor allem, dass Fortschritt Zeit benötigt, insbesondere wenn man Beziehungen zu einer anderen regionalen Organisation mit eigenen strategischen Zielen aufbauen will, deren Mitgliedstaaten auch verschiedene Interessen haben.  Die ersten Schritte geschahen im Jahrzehnt nach den „doppelten Erweiterungen“ der EU und des ASEAN, die dem Ende des Kalten Kriegs folgten. Deshalb müssen wir andere Möglichkeiten nutzen, wenn sie sich heute ergeben. 

 

 „Die zunehmenden Spannungen zwischen den USA und China haben zu einer neuen Dynamik in der Region geführt. Der ASEAN will nicht ‚Partei ergreifen‘, und wir verlangen das auch nicht.“

 

 Die zunehmenden Spannungen zwischen den USA und China haben zu einer neuen Dynamik in der Region geführt. Der ASEAN will nicht „Partei ergreifen“, und wir verlangen das auch nicht. Doch angesichts dieser Rivalität sucht der Verbund nach neuen Säulen, auf die er seine Stabilität und seinen Wohlstand stützen kann.  Die Zuverlässigkeit und Berechenbarkeit der EU werden immer stärker geschätzt. Diejenigen, die diese Länder in der Region am stärksten verteidigt haben (nämlich die EU und Japan) gelten zunehmend als die vertrauenswürdigsten Partner bei der Unterstützung der regelbasierten Weltordnung – obwohl wir nicht als die mächtigsten Akteure in der Region gelten.

 

 „Zwischen Freunden gibt es immer Meinungsverschiedenheiten, und das gilt auch für die EU und den ASEAN.  In den letzten Jahren war eine der Schwierigkeiten in unseren Beziehungen das Palmöl und sein Platz in unseren Regeln zu Biokraftstoffen.“

 

 Zwischen Freunden gibt es immer Meinungsverschiedenheiten, und das gilt auch für die EU und den ASEAN.  In den letzten Jahren war eine der Schwierigkeiten in unseren Beziehungen das Palmöl und sein Platz in unseren Regeln zu Biokraftstoffen. Diese Meinungsverschiedenheiten sind nicht aus der Welt – zu dem Thema läuft derzeit sogar ein Streitbeilegungsverfahren der WTO.  Trotzdem haben wir den Dialog über Fragen zur Produktion und Nachhaltigkeit eingeleitet, den wir letztes Jahr abgemacht hatten. Um so weit zu kommen, mussten der EAD und die Dienststellen der Kommission für Energie- und Klimafragen eng zusammenarbeiten, wie das bei so vielen anderen Fragen der EU-Außenpolitik nötig ist.

Sowohl der ASEAN als auch die EU haben erkannt, dass wir trotz einzelner Unterschiedlichkeiten nicht unser allgemeines strategisches Interesse aus dem Blick verlieren sollten. Jean Monnet hat es besser formuliert, als ich es je könnte, als er über die Gründung unserer eigenen Union sprach: Man muss „die Menschen zur Zusammenarbeit bringen; ihnen zeigen, dass jenseits ihrer Unterschiede und Grenzen ein gemeinsames Interesse liegt.“  Und das gilt von nun an natürlich auch für die EU und den ASEAN.

Und wir haben viele gemeinsame Interessen: Nicht nur Unmittelbare Angelegenheiten wie die internationale Zusammenarbeit beim Impfen, der Wiederaufbau unserer Wirtschaft und die vorsichtige Wiederöffnung unserer Länder, sondern auch langfristige Erfordernisse wie die Förderung eines effektiven Multilateralismus und einer regelbasierten Weltordnung. Unsere südostasiatischen Partner dankten uns für unser langfristiges Engagement in der Region und ihre Integration durch zahlreiche laufende EU-finanzierte Maßnahmen sowie für unsere Reaktion auf die Pandemie im Rahmen von „Team Europa“. 

Es ist wichtig, dass die EU ihren sicherheitspolitischen Fußabdruck in der Region verstärkt. Zu ersten Mal wurde ein Hoher Vertreter der EU zum erweiterten Treffen der ASEAN-Verteidigungsminister (ASEAN, USA, China, Japan, Indien, Australien, Neuseeland) am 9. Dezember eingeladen; das ist auch das zehnte Jubiläum dieser Gruppe.

 

„Wir sind bereit, unser Engagement in und mit Asien auszuweiten. Der EAD und unsere Mitgliedstaaten verfügen über besonderes Fachwissen, z. B. bei der Friedenssicherung – angesichts unserer Einsätze in der ganzen Welt – oder in den Bereichen Meeres- und Cybersicherheit.“

 

In diesem Zusammenhang will ich betonen, dass wir bereit sind, unser Engagement in und mit Asien auszuweiten. Der EAD und unsere Mitgliedstaaten verfügen über besonderes Fachwissen, z. B. bei der Friedenssicherung – angesichts unserer Einsätze in der ganzen Welt – oder in den Bereichen Meeres- und Cybersicherheit. Wir sollten auf der zunehmenden Zahl von Sicherheitsdialogen und Rahmenbeteiligungsabkommen für die Teilnahme an GSVP-Missionen mit unseren Partnern im Indopazifik aufbauen. Wir sollten außerdem unser gemeinsames Engagement mit dem ASEAN in multilateralen Foren verstärken. Unser Fokus sollte dabei auf zentralen politischen Prioritäten der EU wie Klimaschutz, dem digitalen Wandel, nachhaltiger Entwicklung und Menschenrechten, einschließlich Arbeiternehmerrechten, liegen.

Strategischer Partner des ASEAN zu sein, gibt der EU eine wichtige Gelegenheit, unser Engagement in einer wachsenden und dynamischen Region zu verstärken.

 

 

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