Ein erfolgreicher Besuch in Brasilien

„Die neuen Umweltschutzzusagen Brasiliens, insbesondere in Bezug auf die Entwaldung, sind sowohl für das globale Klima und die biologische Vielfalt als auch für die Beziehungen zwischen der EU und Brasilien von großer Bedeutung. Nun müssen sie rasch umgesetzt werden.“
Brasilien ist heute mit seinen 213 Millionen Einwohnern, seiner großen und diversifizierten Wirtschaft, dem zwölftgrößten BIP und seinem riesigen Staatsgebiet ein wichtiger Akteur in der Welt. Mit dem Amazonasregenwald verfügt Brasilien auch über eine der wichtigsten Grundlagen für die Zukunft der biologischen Vielfalt und des globalen Klimas. Nach 9 Jahren ohne einen hochrangigen Besuch aus der EU war es höchste Zeit für eine Reise in dieses Land, dem eine Schlüsselrolle zukommt.
Bevor ich meinen Gedankenaustausch mit den wichtigsten politischen Stellen des Landes zusammenfasse, möchte ich die Funktionsweise der brasilianischen Institutionen insbesondere für die europäische Öffentlichkeit, die damit oft nicht vertraut ist, näher erläutern. In unserer öffentlichen Debatte besteht die Tendenz, Brasilien viel zu sehr mit seinem Präsidenten und dessen Regierung gleichzusetzen. Während unseres Besuches haben die Vertreterinnen und Vertreter von Denkfabriken, die wir getroffen haben und die nicht mit der derzeitigen Exekutive verbunden sind, betont, dass diese Sichtweise die vielschichtige Realität Brasiliens nicht korrekt widerspiegelt.
Brasilien ist eine Föderation, in der die Bundesstaaten über ein hohes Maß an Autonomie und viele eigene Vorrechte verfügen. Außerdem liegt die föderale Macht selbst nicht nur beim Präsidenten und bei der von ihm ernannten Exekutive. Sowohl der Oberste Gerichtshof des Landes als auch das Justizsystem und der brasilianische Kongress bilden ein starkes Gegengewicht. Unsere Gesprächspartner waren zwar keine Anhänger des derzeitigen Präsidenten, haben jedoch erklärt, dass dieses Kräftegleichgewicht bis jetzt noch funktioniert. Allerdings äußerten sie im Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen, die nächstes Jahr stattfinden sollen, auch Bedenken für die Zukunft.
Die Reaktion Brasiliens auf die Pandemie und die Unterstützung durch die EU
Das beste Beispiel für dieses Prinzip der geteilten Macht ist die Art und Weise, wie das Land den Ausbruch von COVID-19 bewältigt hat. Präsident Jair Bolsonaro hat sich gegen einen Lockdown ausgesprochen, was jedoch viele staatliche und kommunale Behörden nicht daran gehindert hat, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Er hat auch wiederholt seine Ablehnung der COVID-19-Impfung zum Ausdruck gebracht und sich nach wie vor nicht impfen lassen. Die Impfquote der brasilianischen Bevölkerung ist derzeit jedoch höher als in den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union, was insbesondere auf die wachsende Produktionskapazität des Landes für Impfstoffe zurückzuführen ist, einschließlich des chinesischen Impfstoffs Sinovac, der vom Butantan Institute hergestellt wird, und des von Fiocruz hergestellten Impfstoffs AstraZeneca. Eurofarma Laboratorios plant, ab Anfang 2022 jährlich 100 Millionen Dosen des Pfizer/BioNTech-Impfstoffs zur Verteilung in Lateinamerika herzustellen. Infolgedessen ist die Pandemie in Brasilien deutlich zurückgegangen. Im Rahmen des „Team Europa“-Konzepts haben die Europäische Union, ihre Mitgliedstaaten und die europäischen Finanzinstitutionen mehr als 650 Mio. EUR mobilisiert, um Brasilien bei der Bewältigung der Pandemie zu unterstützen. Diese erhebliche Unterstützung wurde von den brasilianischen Behörden begrüßt.
Wie geht es mit dem Abkommen zwischen der EU und dem Mercosur weiter?
Bei unseren Treffen mit Präsident Jair Bolsonaro, Vizepräsident Hamilton Mourão, Außenminister Carlos Alberto França, Umweltminister Eduardo Leite und dem Präsidenten des Senats Rodrigo Pacheco konzentrierten sich unsere Gespräche hauptsächlich auf das Abkommen zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur einerseits und den Klima- und Umweltschutz andererseits.
Quelle: epe.gov.br
Was das Klima betrifft, so machen erneuerbare Energien aufgrund des weit verbreiteten Einsatzes von Ethanol im Transportsystem und des hohen Anteils der Wasserkraft an der Stromerzeugung (2/3 der Gesamtproduktion) 48 % der Energiebilanz Brasiliens aus, gegenüber 20 % in der Europäischen Union im Jahr 2019. Daher ist Brasilien ein geringerer Verursacher von Treibhausgasen aus dem Energieverbrauch, jedoch ist die Entwaldung nach wie vor das zentrale Problem.
Für die COP 26 hat die brasilianische Regierung kürzlich positive Initiativen ergriffen.
Im Rahmen der COP 26 in Glasgow hat die brasilianische Regierung kürzlich wichtige Initiativen ergriffen. Sie hat sich verpflichtet, die Treibhausgasemissionen des Landes bis 2030 nicht nur um 43%, sondern um 50 % gegenüber dem Stand von 2005 zu reduzieren und bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Dies ist im Großen und Ganzen mit den Anstrengungen der EU vergleichbar. Die brasilianische Regierung hat sich auch der globalen Verpflichtung zur Reduzierung der Methanemissionen („Global Methane Pledge“) angeschlossen, die von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und US-Präsident Joe Biden in Glasgow ins Leben gerufen wurde, um die Emissionen dieses Gases, das ein viel stärkeres Treibhausgas als CO2 ist, zu begrenzen. Darüber hinaus hat Brasilien zugesagt, die illegale Entwaldung bis 2030 zu beenden, und hat diesbezüglich einen Aktionsplan vorgelegt.
Dies sind natürlich wichtige Zusagen für die Zukunft des Weltklimas und der biologischen Vielfalt, aber auch für die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Brasilien, die in der jüngsten Vergangenheit durch Meinungsverschiedenheiten in diesen Fragen überschattet wurden. Ich habe jedoch auch betont, wie wichtig es ist, dass diese Zusagen vor Ort vollständig umgesetzt werden. Mehrere nichtstaatliche Gesprächspartner hoben die Schwierigkeiten hervor, die sich in diesem Bereich insbesondere im Zusammenhang mit der illegalen Entwaldung ergeben könnten, da es an Ressourcen mangelt und gefestigte Interessen einem wirksamen Vorgehen gegen die Entwaldung entgegenstehen.
Bei dem Abkommen zwischen der EU und dem Mercosur gibt es nach wie vor erhebliche Schwierigkeiten.
Als ich 2006 als Präsident des Europäischen Parlaments nach Brasilien kam, wurde mir gesagt, dass die Unterzeichnung des Handelsabkommens zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur unmittelbar bevorstehe. 15 Jahre später und zwei Jahre nach seiner Unterzeichnung ist es immer noch nicht in Kraft. Unsere Gesprächspartner haben bekräftigt, dass sie an dem Abkommen festhalten, da es zur Modernisierung der brasilianischen Wirtschaft und zur Beschleunigung des Produktivitätszuwachses beitragen würde. Dieses Abkommen ist auch wichtig, um den Integrationsprozess des Mercosur selbst voranzubringen. Die Leiter europäischer Unternehmen in Brasilien, die ich in Sao Paolo getroffen habe, betonten, dass dieses Abkommen sowohl für die brasilianische als auch für die europäische Wirtschaft wichtig und vorteilhaft ist.
Ich habe in unseren Gesprächen den Wunsch der Europäischen Kommission bekräftigt, dieses Dossier nach einer langen Gestaltungszeit erfolgreich abzuschließen, aber auch deutlich auf die noch zu überwindenden Schwierigkeiten hingewiesen. Das Europäische Parlament sowie einige Mitgliedstaaten lehnen die Ratifizierung dieses Abkommens in seiner derzeitigen Fassung aufgrund der Umweltproblematik ab. Es muss ergänzt werden. Die genaue Art dieses Abkommens – Handelsabkommen oder Assoziierungsabkommen – muss noch geklärt werden, was erhebliche Auswirkungen auf den Ratifizierungsprozess hat. Wenn die neuen Umweltverpflichtungen der brasilianischen Regierung wirklich umgesetzt werden, könnte dies sicherlich dazu beitragen, dieses Abkommen voranzubringen.
Wir haben auch den Antrag Brasiliens auf Mitgliedschaft in der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) erörtert, den wir unterstützen, sowie den Antrag auf Sicherheitskooperation, die in der Zentralafrikanischen Republik bereits stattfindet, aber auf andere Regionen, insbesondere Mosambik, ausgeweitet werden könnte.
Schließlich habe ich mich mit Vertreterinnen und Vertretern von UN Women in Brasilien getroffen. Sie vermittelten uns ein detailliertes Bild von der schwierigen Lage von Frauen, die sich für die Verteidigung der Rechte ihrer Gemeinschaften in Brasilien einsetzen, da ihr Leben und ihre körperliche Unversehrtheit häufig bedroht sind.
„Operation Willkommen“ für venezolanische Flüchtlinge
Wir haben außerdem einer Präsentation der „Operaçao Acolhida“ (Operation Willkommen) (externer Link) beigewohnt, die von der brasilianischen Regierung mit dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen und der Internationalen Organisation für Migration sowie mit Unterstützung der EU zur Umsiedlung von an der Grenze ankommenden venezolanischen Flüchtlingen innerhalb Brasiliens durchgeführt wird. Von den rund 260 000 Venezolanerinnen und Venezolanern im Land wurden bislang 61 000 umgesiedelt. Besonders bewegt haben mich bei unserem Treffen die Geschichten zweier venezolanischer Geflüchteter, denen das Programm zugutegekommen ist. Der eine kam mit seiner Familie völlig ausgehungert an der Grenze an und wurde dank Operaçao Acolhida aufgenommen, untergebracht und hat eine Arbeit erhalten. Die andere musste flüchten, weil ihr Sohn schwer krank war und in Venezuela nicht behandelt werden konnte. Er wurde in Brasilien aufgenommen und hat eine Behandlung erhalten. In Augenblicken wie diesen wird man sich bewusst, dass es sich bei den Menschen, von denen wir sprechen, nicht nur um Zahlen in der Statistik handelt und dass unser Handeln – oder unsere Untätigkeit – maßgebliche Folgen für echte Menschen haben kann.
Trotz der jüngsten Spannungen hat dieser Besuch dazu beigetragen, den direkten Kontakt mit der brasilianischen Regierung wiederherzustellen, und Brasilien wird am Treffen der Führungsspitzen der EU und Lateinamerikas teilnehmen, das wir nächsten Monat organisieren werden. Insbesondere können die neuen Umweltverpflichtungen Brasiliens einen wesentlichen Beitrag zu weiteren Fortschritten beim Handelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Mercosur leisten, sofern sie vor Ort umgesetzt werden.
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